Chaco zum Zweiten

 

 August 2014  

 

Die Einladung von Hans-Lothar zum zweiten Mal in den Chaco zu reisen, nahm ich ohne viel zu überlegen, gern an. An Vorbereitungen mussten nur einige Impfungen aufgefrischt, die verschütteten Spanischkenntnisse wieder hervorgeholt und ein zweiter Freiwilliger gefunden werden. Dieser fand sich glücklicherweise in Gerhard Lukas, einem Zahntechnikmeister aus München.

 

Am 6. August landete ich für ein 3tägiges Stopover  bei einer guten Freundin in Buenos Aires. Nach Großstadtdschungel inklusive Überfall in La Boca (in meinen Augen eine wahre Touristenfalle getarnt mit bunten Holzhütten) freute ich mich auf das deutlich entspanntere Paraguay und das Wiedersehen mit meinen Freunden in Asunción.

 

Am Montag, den 11. 8. wurden Gerhard und ich von Padre Raphael im Vikariat empfangen. Wir sichteten die Materialkisten, die gut verpackt und beschriftet vom Mai-Team waren und kauften etwas Material im Dental-Guaraní nach.

 

Am nächsten Morgen trafen wir uns um 6 Uhr zur Abfahrt vom Oblatenhaus. Nach weiteren Einkäufen großer Mengen Obst und Gemüse überquerten wir den immer noch Hochwasser führenden Rio Paraguay. Die unendliche Weite des Chaco beeindruckte mich wie bei der ersten Reise vor zwei Jahren.

 

Gegen 18 Uhr erreichten wir durchgeschüttelt von den löchrigen Pisten und tiefgekühlt von Raphael Klimaanlage die Nivaclé Gemeinde Fischat. Dort auf der Mission wurde ich mit einer riesigen Geburtstagstorte überrascht. Padre Jose’i und Schwester Hermelinda freuten sich über meine Rückkehr. Des weiterer freuten sich die fünf Freiwilligen aus Katalonien (bitte nicht Spanien!) über den Nachschub aus frischen Lebensmitteln und machten sich sogleich ans Kochen.

 

Am nächsten Morgen wurde erneut umgeladen, weil die Fahrt weiter nach Esteros, einer ca. 20 km entfernt liegenden Mission, ging. Die Gemeinde dort war am Vorabend endlich ans Stromnetz angeschlossen worden, was auch für uns ein großes Glück war, denn so mussten wir keinen Generatorlärm wie beim letzten Mal ertragen. Was für ein Fortschritt das für die Nivaclé-Indianer bedeutet, können wir nur erahnen. Am deutlichsten merkt man es daran, dass die Musik in den Hütten im Busch jetzt voll aufgedreht wird. Eine Großmutter, so wurde berichtet, konnte nicht schlafen, da irgendwo im Dorf eine Glühbirne die ganze Nacht leuchtete.

 

In einem Schulzimmer neben der Kirche bauten wir das Consultorio und das Labor auf. Dank Gerhard sollten so zu ersten Mal vor Ort Prothesen hergestellt werden. Schwester Hermelinda hatte lange Listen mit Patientennamen erstellt und diese an die Kirchentür angeschlagen. Schon nach den ersten Patienten war klar, dass fast alle neue Prothesen bzw. ihre alten Prothesen repariert haben wollten.

 

Es hätte also mehrere Zahntechniker gebraucht, um den Bedarf auch nur annähernd zu befriedigen. Zudem funktionierte der mitgebrachte Drucktopf für die Kunststoffprothesen leider nicht, wodurch Gerhard noch mehr Mühe mit der Ausarbeitung und Politur jener hatte. So konzentrierten wir uns auf kleinen und mittelgroßen Zahnersatz, um vor allem die allgegenwärtigen Frontzahnlücken der Frauen zu ersetzen.

 

Als glückliche Fügung half mir jeden Tag eine der drei katalanischen Medizinstudentinnen als Assistenz. Dies war auch sprachlich hilfreich, wenn mein Spanisch gelegentlich an Grenzen stieß und sie so auf Englisch übersetzen konnten. Da die meisten Nivaclé-Frauen jedoch nur Nivaclé sprechen, mussten wir uns schnell auch ein paar Worte in dieser schwierigen Sprache aneignen.

 

Die nächsten 10 Tage fuhren wir außer Sonntag nach Esteros, um dort zu arbeiten. Mit den Katalanen, die in den Schulen in Fischat und Esteros unterrichteten, haben wir im Unterricht auch über Mundhygiene gesprochen und Zahnputztechnik am Modell geübt.

 

Nach einigen kühlen Nächten (5°C am Morgen) wurde es langsam wärmer (über 30°C) und wir waren froh über den Ventilator im Behandlungszimmer. Nebenbei dudelte unser Lieblingssender Paí Pukú, der uns über alle Neuigkeiten im Chaco auf dem Laufenden hielt. Denn zum besonderen Leidwesen von Gerhard ist das Internet noch ein Fremdwort in dieser Gegend. Stolz wurde uns auch das neue kleine Radiostudio in Fischat gezeigt, wo Paí Jose’i jeden Morgen um 7 Uhr eine Ansprache hält.

 

Sonntags haben wir nach der Messe unseren Spaß beim Chipa backen (Käse-Brötchenringe) mit den anderen Voluntarios gehabt und erkundeten den nahe gelegenen Tacamar (Speichersee). Leider ließ sich kein Jacaré (Aligator) blicken.

 

Ein besonderes Erlebnis war der Dia de los Ninos (Kindertag), welchen die Katalanen in der Schule mit Sport und Spielen organisiert hatten. Für das ganze Dorf wurde heißer Kakao auf offenem Feuer gekocht und Schokokekse verteilt. Dass 5 kg Zucker im Kakao landeten, konnte ich leider nicht verhindern. Vom Kleinkind bis zur mit Federn geschmückten Großmutter standen alle brav mit ihrem Becher an. Ein merkwürdiges Bild für mich, welches mich eher nachdenklich stimmte. Der abendlich traditionelle Tanz der Großmütter, ließ uns etwas mehr in die Welt der Indianer eintauchen.

 

Am nächsten Abend wurde in Fischat ein Abschiedsfest für die fünf Freiwilligen aus Katalonien organisiert, wieder mit Messe und Regentanz der Großmütter, welche ja in diesem Stamm das Sagen haben. Auch Raphaels Asado (Grillen) hat allen bestens gemundet.

 

Die Hitze und die Staubstürme gehörten bald zum Alltag, doch dank Tereré (eisgekühlter Mate-Tee) lässt sich im Chaco alles leichter ertragen.

 

Sonntag nach der Messe sind wir mit Raphael und Marcus, einem Nivaclé als Helfer, an den Pilcomayo Fluss in General Diaz zum Angeln gefahren. Mit meiner Glücksangel fing ich vier verschiedene Fische, welche am nächsten Tag von der Köchin Valeria auf das köstlichste zubereitet wurden.

 

Am nächsten Tag bauten wir Labor und Praxis nun in einem Schulzimmer in Fischat in der Mission auf, denn auch hier gab es eine lange Patientenliste. Als Assistentin rekrutierte Schwester Hermelinda Schülerinnen aus der 8. und 9. Klasse, die sich als sehr geschickt und interessiert erwiesen. Diese konnten natürlich perfekt aus dem Nivaclé für mich übersetzen. Jetzt trauten sich auch mehr Schüler, zur Behandlung zu kommen, da sich sonst gewöhnlich die Frauen und Großmütter vordrängen.

 

Am letzten Abend versuchten Gerhard und ich uns im Kochen in der mittelalterlichen Missionsküche. Cocina alemana wurde gewünscht. Raphael hatte aus Filadelfia Sauerkraut mitgebracht. So kreierten wir einen Sauerkraut, Kartoffel, Schweinfleisch ‚Gulasch’, der allen zu schmecken schien.

 

Auf der Mission wurde es am letzten Tag noch mal sehr lebhaft, da eine Schülergruppe aus Sta. Teresita zu Besuch kam. So sah ich auch Schwester Marie-Angeles wieder, die die Gruppe begleitete.

 

Die lange Rückfahrt (ca. 10 Stunden) inklusive 2 Stunden Stau im Verkehrschaos Asuncións brachte uns zurück ins Stadtleben. Beim Sonntagsausflug nach San Bernadino zum Asado im Landhaus meiner Freunde, lauschte jeder gespannt den für Hauptstadtbewohner unglaublichen Geschichten über die Nivaclé im Chaco.

 

Für die Statistik: an 14 Behandlungstagen wurden 40 Prothesen hergestellt, 62 Extraktionen, 98 Füllungen, 9 Wurzelbehandlungen und einige Scalings durchgeführt.

 

Alles in allem war es wieder eine sehr beeindruckende Reise ins Herz Südamerikas, was bestimmt nicht meine letzte Reise dorthin war.

 

 

Freia Mehlhorn

Dresden, den 26.09.2014